Archiv für den Monat: Juli 2016

Zu Gast in der Facebook-Welt

„Digital durchstarten“ will Facebook mit kleinen und mittleren Unternehmen und lädt auch mich als Admin einiger Seiten ein. Ins Studio 2 der BavariaFilm in München-Grünwald. Erster Eindruck: Man will hip sein. Effektlicht, Catering und sehr sehr motivierte Moderatoren. Hey, wir wollen mit euch was erleben! Ok, dann los.

Nach etwas farblosen Facebook-Verantwortlichen kommt der Grünen-Politiker Anton Hofreiter auf die Bühne. Spätestens jetzt könnte man mit BullshitBingo beginnen. Denn es fehlt an diesem Nachmittag keines der derzeitigen BuzzWords: Der Breitband-Ausbau in Deutschland hängt. Die Netzneutralität ist wichtig. Mehr Opensource und Opendata der Kommunen  … Toni Hofreiter gibt einen Überblick, auch darüber, was die Regierung derzeit nicht schafft. Wenn es um Konkretes geht, möchte er auch bei der folgenden Podiumsdiskussion gerne konkrete Vorschläge. Wird er aber nicht bekommen.

Die folgende Podiumsdiskussion ist unterschiedlich interessant. Wenn ein Startup für konservierte Echtpflanzen und grüne Wände ohne große Finanzen nur durch Digitalisierung starten kann, lernt der erstaunte Jungunternehmer, dass zu viel Erfahrung und alte Strukturen auch hinderlich sein können. Wenn eine alteingesessene Firma wie die Berliner Holzconnection mit jungen Köpfen den Schritt in der Digitalisierung wagt, hört man förmlich die knirschenden Transformationen. Doch es gelingt nur, wenn man alle mitnimmt. Vergangenheit jedenfalls klingt nach Zettelwirtschaft, Fax und Plakatwerbung. Von Vorteil ist da, keine (!) alte Struktur zu haben. Alles auch für Kirche interessant.

Dass Digitalisierung die Zukunft ist, daran hat – wen wundert‘s – an diesem Nachmittag keiner eine Zweifel. Und wer das noch nicht verstanden hat, bekommt immer wieder leider schon allzu bekannte Fakten über den Kommunikationswandel präsentiert. Der Raum voller Fachleute fühlt sich da oftmals etwas unterfordert. Ein Martin twittert „Ist das Niveau jetzt für Menschen, die schon halbwegs Bescheid wissen, oder für komplette Neulinge? Ich bin verwirrt.“ Er ist nicht der einzige. Und “Teresa ohne h” schreibt „Expertin rät davon ab, Fotos aus Internet zu klauen. Sagt mal, meinen Veranstalter diese Veranstaltung eigentlich ernst?“ und trifft den Nagel ziemlich gut. Twitter ist übrigens an diesem Nachmittag die Kommentarleiste der Veranstaltung, zu der es keinen offiziellen (!)  Hashtag gibt. Man ahnt weshalb. Oder schaut mal unter #digitaldurchstarten

Die „Workshops“ nach einer Pause – die man bitte zum Netzwerken nutzen soll und sich in der Warteschlange vor dem Facebookstand vertreibt – sind leider auch nur Frontalunterricht. Von unterschiedlicher Güte. Klar wird am Ende der Kundenversteher gewinnen. Manche Botschaften aber sind platt: “Nutzen Sie Vertrauenssiegel!” zum Beispiel. Denn das würde Kunden anziehen. Ich halte es da eher mit „Schaffen Sie Vertrauen“.

Auch schön: Der Newsfeed “lebt” wenn Videos von selbst starten … „Leben“ würde ich anders definieren. Überhaupt ist das Bemühen zu spüren, in der digitalen Kommunikation „echte“ Gefühle zu übermitteln und Kunden damit für sich zu interessieren. Dass dazu die sechs Like-Möglichkeiten bei Facebook zwischen „gefällt mir“ und „wütend“ eine etwas eingeschränkte Ausdrucksmöglichkeit ist, scheint vernachlässigbar.

Sehr platt aber dadurch auch sehr aufschlussreich die Reise mit einem Kunden durch seinen Tag. Wir begleiten Jana. Die schon am Frühstückstisch mit ihrer Freundin chattet und sich zum Sushi-essen am Abend verabredet. Die Schuhe liebt. Die mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt … viel von schöner neuer Welt, in der vernetzte Daten und Produktplacement alles ist. Wer jetzt kritisch die Augenbrauen hochzieht, verliert, denn die bloße Sicht auf einen Menschen als Konsumenten schärft die Ansatzpunkte für mögliche Kunden-Beziehungen. Und die Persona Jana fährt nicht zufällig mit dem ÖPNV. Facebook würde ungern den Handygebrauch im Auto empfehlen. Am Ende der Geschichte vernetzt sich alles mit allem und Jana wird einen schönen Tag mit tollem Essen und wundervollen neuen pinken Schuhen haben. So soll es sein in der Welt von Facebook und Google.

Interessant wird es bei Facebook-Partner-Manager Chris von den Hoff. Denn sagt mal, was in seiner Arbeit mit Unternehmen funktioniert hat  (Den Tipp hat der Vertreter der IHK auch schon gegeben: Schauen Sie nach guten Beispielen anderer). Ein Tipp: Videos müssen auch ohne Ton funktionieren, denn wenn sie auf Facebook starten können nicht alle Nutzer gerade auch den Ton anstellen. Ein anderer: Konsistente Bildsprache. Kunden müssen in den Bildern dein Unternehmen erkennen. Gleich, auch ohne Logo und Erklärung. Interessant auch: Zielen sie nicht auf Likes, sondern verfolgen sie ihre Unternehmensziele. Gelungen ist eine Werbung, wenn der Kunde kauft. Was das für Kirche heißen kann, wäre spannend zu ergründen. Ist eine Facebook-Werbung erfolgreich, wenn wir mehr Abendmahl austeilen oder Menschen sich taufen lassen?

Und wie geht das alles? Mit Facebook-Ads, also bezahlter Werbung auf Facebook. Das kann man kritisieren. Ja. Das kann man aber auch nutzen. Denn die Zielgruppe lässt sich immer genauer eingrenzen. Meine Frage an die freundliche Dame am Facebook-Schalter, warum Facebook es nicht schafft, Hass-Kommentare zu filtern, die uns als Kirche treffen, wenn wir zum Beispiel „Religion“ als Interesse bei einer Werbung zum Thema Flüchtlinge einstellen, wurde so beantwortet: „Vielleicht nehmen Sie einfach andere Interessen, die mehr emotional gesteuert sind.“ Also eher nach Nächstenliebe suchen als nach Religion? Hm, … muss ich noch drüber nachdenken.

Klar ist aber auch: Bezahlte Kontakte sind das Geschäftsmodell Facebook. Was als Plattform für Menschen in ihrem Alltagsleben daher kommt , wird für Unternehmer zum einfachen und zielgenauen Tool, um neue Kunden zu erreichen. Attraktiv für StartUps und innovativ, weil es eben die Grenze zwischen Werbung, MitarbeiterAquise und Privatleben verschwimmen lässt und genau deswegen auch – vielleicht zu recht – von so manchen kritisiert. Nur als Tool betrachtet ist es ziemlich nützlich. Und was Facebook hier kann, findet man im E-Learning-Kanal Blueprint.

Die GretchenFrage zum Schluß: Lohnt sich „Digital Durchstarten“?

Ja, mindestens dazu, um zu prüfen ob man in etwa auf aktuellem Stand in Sachen Vorteile der Digitalisierung ist. Und auch, um zu begreifen, wie Facebook und Google so ticken. Denn die wollen die Welt ein bisschen besser machen. Wollen wir ja alle. Irgendwie.