Archiv für den Monat: Februar 2018

Gruß aus der digitalen Küche – das NetzwerkÖffentlichkeitsarbeit 2018

Nicht jeder, der in ein Gourmetrestaurant geht, wird danach ein Feinschmecker. So manchen lockt auch danach Hausmannskost oder Burgerketten. Beim „Gruß aus der digitalen Küche“ (Jahrestagung Erfurt 2018 Gruß aus der digitalen Küche) des Netzwerks Öffentlichkeitsarbeit war es ähnlich. Denn so mancher hörte sich Referentinnen und Referenten an und blieb – so mein Eindruck – danach bei der eigenen Arbeit beim Bewährten. An den Vortragenden hat es dabei nicht gelegen. Das Team den Netzwerktreffens hatte hochkarätig eingeladen und die Tagung glänzend organisiert. Merkbar anders war im Vergleich zu Onlinertreffen wie der re:publica oder dem Barcamp Kirche, dass die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeitsarbeitenden nur konsumierte und nicht – wie auf anderen Tagungen üblich – auf Twitter oder anderen sozialen Netzwerken eigene Erkenntnisse, Querverweise und Beiträge mit anderen teile. Sharing community daher leider Fehlanzeige.

Zur Tagung gibt es mittlerweile wunderbare Blogposts, deren Ergebnisse ich hier ausspare und zu lesen empfehle:

Lena Modrow – „Gruß aus der digitalen Küche”

Ralf Peter Reimann – Social Media: Wer hat Mut? Wer darf scheitern?

Den Montagvormittag bestritten Harald Schirmer und Hannes Leitlein. Beide hochinteressante Gesprächspartner, die sich gegenseitig nicht kannten und aus ihrer Sicht spannende Impuls zur Arbeit in und für Kirche gaben.

Ein Aufruf zum Mutanfall – Digitale Zukunft gemeinsam gestalten
Harald Schirmer, Continental AG

Schirmer ist einer der genialsten digital transformer, der bei Conti den Wandel gestaltet. Nicht als einer, der „man müsste“ oder „wir brauchen“ nach vorne stellt sondern den Wandel in den Köpfen einläutet und vorlebt. Wieso fotografieren Sie mit ihren Smartphones meine Folien? Ist zwar schon super digital aber die Präsentation ist seit zwei Tagen online verfügbar … Treffer versenkt!

Wenig sinnvoll ist die oft wiederholte Heilsankündigung, man müsse sich innovative Menschen „von außen“ holen um den eigenen Betrieb zu retten. Oder zur Innovation StartUps gründen, die man dann in den Betrieb zurückholen könne. So entsteht immer ein Gefälle zwischen den Neuen und den Alten, denen drinnen und denen draußen, Abwehrhaltungen gegen das Neue, das immer einen Bruch mit dem bisher Gültigen in sich trage. Das sei kaum zu heilen und lähme die Kreativität innerhalb eines Unternehmens. Und sinngemäß weiter: wer es nicht schafft, dass der neben mir Lust bekommt, innovativ und kreativ zu werden, könne einen Betrieb nicht transformieren. „Ich muss mit den Leuten arbeiten, die ich habe“ ist dabei weniger Einschränkung als vielmehr ungeheures Potential. Neues Lernen ist nötig: „learn to unlearn“ gelerntes verlernen und neu denken!

Besonders fatal dabei ist die alte IT-Doktrin „Never change a running system“. Systemisch betrachtet sei jedes Unternehmen von vielen Faktoren abhängig, die sich ständig ändern würden. Wer könne da glauben, ein laufender Betrieb sei nicht änderungsbedürftig. Change Management bedeutet also den Wandel im laufenden Betrieb zu gestalten. Dabei gibt es in jedem Betrieb (spannend was das bei Kirche wäre) eine Hardware- und eine Softwareseite. Die Hardware sei das bestehende Geschäftsmodell, das von Fehlervermeidung, Regelung und Planung geprägt sei. Und nicht der Hort der Kreativen sei. „Wenn wir bei der Autoreifenproduktion nicht auf Fehlervermeidung setzen, sterben Menschen“. Die andere und neue Seite bei Businessmodellen sei die „Software“ aus Kreativität, Risiko, Ausprobieren. Wer nur auf eine Seite setzt, verliert. Als Transformer in einem weltweiten Unternehmen (Ist das Kirche nicht auch?) lieferte Schirmer auch gleich die Erfolgsfaktoren für gelingende Zusammenarbeit: Zeitunabhängigkeit, Ortsunabhängig und Skalierbarkeit. Jeder müsse da arbeiten können, wo es für ihn oder sie am besten sei und dabei nicht an Begrenzungen gebunden sein.

Aber auch Nachdenkliches zur Digitalisierung gab es: Oft sei Digitalisierung nur Einsparung. Was wir aber dringend brauchen, sind viele kreative Menschen. Und die könnten mit digitaler Arbeitsumgebung eben besser arbeiten.

„Ob ich schon wanderte im finster’n Digital … “ – Wie die Kirche ihre Zukunft verpennt
Hannes Leitlein, DIE ZEIT, Christ und Welt

Hannes Leitlein wiederholte im Wesentlichen seine Thesen aus seinem ZEIT-Artikel “Und wie wir wandern im finstern Digital” und reicherte sie mit Beispielen an (Link zum Blogartikel): wieso immer noch nicht alle Kirchen ihre Gottesdienste im Netz auffindbar veröffentlichten. Wieso PDF immer noch das Mittel der digitalen Wahl sei, wenn es gelte Inhalte online zu stellen. Und warum Angst in der Kirche immer noch einer der bestimmenden Faktoren beim Thema Digitalisierung sei … wer wenn nicht evangelische Christen müssten gut mit Angst klar kommen? „Die Kirche tut so, als sei sie ein ewiger Ladebalken.”

Leitlein war gewohnt wohltuend provokativ und outete sich als einer, der Kirche aus Liebe zu ihr verändern will. Seine Empfehlung: Die Kirche sollte ein Startup der verlorenen Söhne gründen, schick und in Kreuzberg, mit viel Geld, ner Espressomaschine, Fahrradständern und so. Und da wird dann Digitales für die Kirche entwickelt und ausprobiert. Wäre sein Vortrag ein Gottesdienst gewesen, hätte man danach „Vertraut den neuen Wegen“ gesungen.

Podiumsgespräch mit Hannes Leitlein, Harald Schirmer und Dr. Ralph Charbonnier, Kirchenamt der EKD

Nach zwei intensiven und kurzweiligen Vorträgen war wenig Zeit zur Weiterdiskussion. Der erste Wunsch des Publikums war jedoch „Machen wir erst mal eine kurze Pause“. Schade, auch so kann man einen Flow beenden. Danach demonstrierte die Protagonisten real existierende Kirche im digitalen Wandel. Hieß es bei Schirmer „Mut zum Wandel“ wollte Leitlein StartUps gründen. Ralph Charbonnier von der EKD kündigte an „den digitalen Wandel gestalten“. Für mich nahm der Drive da spürbar ab. Wichtig war dabei auch die Rolle der evangelischen Kirche bei den ethischen Fragen der Digitalisierung. Wie das mit wirklichem digitalen Arbeiten zusammen gehen wird, hat sich mir leider nicht erschlossen. Gespräche beim Mittagessen lassen mich aber vermuten, dass es einen nicht zu kleinen Teil von Kirchenmenschen gibt, die eine Renaissance des Analogen erwarten. Und da wären wir ja wieder ganz vorne dabei.

Exkursion zum KiKA und Podiumsgespräch

Der Nachmittag brachte einen Einblick in Sendebetrieb und Anliegen des in Erfurt produzierten Kinderkanals. In der Baumhaus-Deko ging es um Zielgruppen, Shitstorms und den Wert des linearen Fernsehens. Öffentlich-rechtliche Anstalten ticken dabei ähnlich wie Kirche.

Ein Abend mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland beschloss den ersten Tag. Die Workshops am Tag 2 waren ebenfalls wieder hochkarätig. Wenn es Material dazu gibt ist es im Folgenden verlinkt

Mobile Reporting. Mit dem Smartphone aktuell berichten. Martin Heller, TV- und Video-Journalist

Das Video im Web. Vom Konzept bis zum fertigen Beitrag. Esther Stosch, Evangelisches Medienhaus Frankfurt am Main

Social Media ist mehr als Facebook. Welcher Kanal für welche Inhalte und welche Zielgruppe? Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland

WhatsApp in der Gemeindearbeit. Julia Schönbeck, Theologiestudentin Göttingen

Mein persönliches Fazit:

Öffentlichkeitsarbeit ist vielfach ein Arbeiten unter Volllast. Zu viele Anforderungen und zu wenig Ressourcen erzeugen – so mein Gefühl – oft Frust und ein „Besser weiter wie bisher“. Der digitale Wandel ist da oft mehr Bedrohung als hilfreiche Entwicklung. Erschreckend für mich nach vier Jahren Arbeit auf der Projektstelle Social Media: es gibt immer noch viele, die den „neuen Medien“ sehr kritisch oder skeptisch gegenüber stehen. Ich frage mich, ob es Kirche gelingt, digitale Transformation fröhlich zu gestalten und freudig damit zu arbeiten. Oder ob wir uns auf ein ethisches Wächteramt zurückziehen und analoges Kerngeschäft als Wesenskern so beschreiben, dass uns die Kommunikation verloren geht. „Kirche schaltet zu wenig auf Empfang“ sagt Hannes Leitlein. Zustimmung.