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re:publica 18 – vom Internettreffen zur Gesellschaftskonferenz

Die re:publica wandelt sich. Vom NetzaktivistenTreffen zur Gesellschaftskonferenz. Und von der NerdGemeinschaft zum Tummelplatz für Fernsehsender und Medienunternehmen. Das muss nicht schlecht sein, denn es gibt genug Themen, die in der Gesellschaft schief laufen und die im Netz ihren Niederschlag finden und dort auch bekämpft werden. Jan Böhmermann zum Beispiel der mit seinem Beitrag über Hass im Internet eine Bewegung zur Trollbekämpfung ausgelöst hat (#reconquistainternet) und via Skype zugeschaltet optisch die dazugehörige Diskussion auf Stage1 dominierte. Oder Sascha Lobo, dessen angekündigte „Kraftrede“ auch zur Bewerbung als dauerwütender Bundespräsident getaugt hätte.

Daneben aber gab es viele hochspannende Themen und Einblicke die – ähnlich dem Kirchentag – meist in kleinen Hallen und schnell überfüllt waren. Da dürfte die Station Berlin als Austragungsort immer mehr an ihre Grenzen gelangen.

Meine Highlights

Das Eröffnungspanel „Die Revolution disst ihre Kinder – alte Linke, neue Rechte und das Internet“ widmete sich dem 50. Geburtstag der 68ger und der Frage „Was ist geblieben?“ In einer beachtlich und erstaunlich unaufgeregten Debatte diskutierten Friedemann Karig, Stefan Niggemeier, Samira El Ouassil, Nils Markwardt über das Erbe der 68ger! Für Churchies auffällig: In der Analyse gab es viel versteckte Religion. Zum Beispiel, dass die Protagonisten der 68er mit dem Protestantismus noch über einen gesinnungsmäßige Hardware verfügten und in ihren Zielen einen quasireligiösen Duktus verfolgten. Heute sei das bei den meisten verloren. War es vor 50 Jahren der Hass aufs Establishment, sei es heute das Kontinuum des Konservatismus, die „Verführbarkeit des Menschen“, gegen die es zu kämpfen gilt. Ganz rechts zeigt sich dabei ebenfalls ein Erbe der 68ger: immer eine Bewegung zu bleiben. Auch um nicht demokratisch tätig werden zu müssen, will das die AfD mit ihrem Nationalismus. Die Erkenntnis der Runde dazu: „Mit einem konservativen Menschenbild kannst du auch keine Demokratie machen“

Sind also die NeuRechten die 68ge von heute? Ein verführerischer Gedanke. Denn ist attraktiv, die neuen Tabus anzusprechen und zu brechen. Tabus, die teilweise mühsam arbeitet wurden. Wie das konkret aussieht, zeigte Samira El Quassil, die 2009 bei der Bundestagswahl für „die Partei“ kanditierte. Was  nach Schließung der Wahllokale bei ihr ankam war allein schon von der Form unterirdisch. Zitat: „Die Orthografie war orchideal!“ Widerlegt wurde auch die Vermutung, die AfDWähler seien meist Globalisierungsverlierer? Die neue Erkenntnis: AfDWähler sind wesentlich besser gestellt als vermutet. Doch mental schlummert da schon lange was. Es gibt das Bedürfnis nach Affekten, nach Wahrnehmung. Der Soziologe Heinz Bude beziffert das “Verbitterungsmilieu” in Deutschland auf etwa zehn Prozent. Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber denen, die mich beeinflussen.

Dazu gibt es, so das Panel, die Wut der Publizisten: Autoren wie Matthias Matussek, Roland Tichy oder Vera Lengsfeld beschreiben das Land als eines, das permanent zerbröselt. Früher war es die Linken, die sagten, der Staat muss geändert werden. Heute sind es die Rechten. Sie sind fassungslos, „wie wir das Land für die Hunde gehen lassen“. Wenn den 68gern die Konservativen das verfolgten, werden heute die Institutionen von links verteidigt. Eine Umdrehung der 86ger!

Wo kommen die Neurechten alle her? Wir vergessen, dass es eine lange Geschichte des Rechtsextremismus gibt. Dazu gelten heute Konvertiten als besonders glaubwürdig. Identität lässt sich durch Abgrenzung finden. „Wenn man noch was werden will, muss man nach rechts gehen.“

Und was sind die Tools: Söders Kreuz Geschichte ist Whistleblower-Kommunikation. Ein geheimes Zeichen an die eigenen Anhänger. Dass es rechtlich nicht umzusetzen ist, wissen viele. Doch wie Jens Spahn betreiben viele die Verclownisierung der Politik. Jeder Aufreger ist dabei eine Falle: unwichtige Aufreger ersetzen den Diskurs über wichtige Themen. Aufregung hat damit eine Funktion! Empörung ist eine Form des Gefühls der interpassiven Partizipation. Ich rege mich auf, protestiere, habe aber nichts geändert. Hat der Mensch also einfach keine Lust, sich mit den Problemen auseinander zu setzen. Lieber kurz aufregen statt was zu ändern.

Und die Rolle der Satiriker? Sie sind wie Böhmermann in die Lücke der Intellektuellen, die schweigen, hineingerückt. Jetzt aber den Satirikern die Aufgabe eines Gesellschaftskorrektiv zuzuschieben, überlastet sie aber!

Mit Stage 8 völlig am falschen weil zu kleinen Ort war das Panel “You know nothing, Laowai!” Ein top secret Briefing zu Chinas Onlinekultur hinter der Great Firewall. Hier gibt es hoffentlich bald ein Video, denn Einblicke wie diese sind die Perlen jeder re:publica

Handfest und ebenfalls überlaufen war das Panel mit „10 Tipps für Livestream auf Facebook und YouTube“. Varina Link und Marina Schakarian erklärten als junge Mitarbeitende von funk und ZDF digital ihre Livestreamformate. Das Ziel: den Nutzer über längere Zeit bei der Stange zu halten. Chat, Voting-Tools und fleißig und sorgfältig verteilte Highlights hätten sich dabei als erfolgreich erwiesen. Auch die im Vorhinein nicht festgelegt Länge der Sendung. Man mache eben so lange, so lange der Inhalt trägt. Bei mir kam da etwas atemloses an und die Frage, wie man den Stream von vorgegebenen Inhalten wie einer Landessynode mit diesen Tools verbessern könne. Gewinnspiele sind ja nicht das Wesen einer Kirche. Jedenfalls noch nicht.

Bei „Journalismus im Netz: Zwischen Fakten, Fake, Haltung und Hate“ diskutierten (wieder einmal) Georg Restle, Dunja Hayali, Kai Gniffke und Silke Burmester über die Veränderungen in journalistischer Arbeit. Neben der immer wieder fassungslos machenden Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die absichtlich das Leben anderer durch trollen zerstören wollen lieferte das Panel einen flammenden Appell für sorgfältiges und transparentes Arbeiten und mehr Zeit für die Recherche. Auch hier war der Applaus der Gleichgesinnten im Raum sicher. Traurig nur, wenn auch guter Journalismus eher in einer Filterblase unterwegs ist statt Teil der Gesellschaft zu sein.

Für meine Arbeit auf der Projektstelle war das Netzgemeindefest das Highlight des ersten Tages auf der #rp18. Bei rund 100 Internetarbeitenden aus evangelischer und katholischer Kirche gab es jede Menge Gespräche und Möglichkeit zur Vernetzung. Danke an Hanno, Ingo und Felix fürs Organisieren! Mehr dazu im Artikel auf katholisch.de.

Einer der Zufallsfunde war für mich „Platform failure! YouTube, Facebook & Co. go rogue“ mit Bertram Gugel. Seine These: in den großen Plattformen würden mittlerweile ganz wenige den meisten Teil des Traffic auf sich ziehen. Keine Chance für kleinere und neue Anbieter, Reichweite zu generieren und noch weniger die Möglichkeit, hier auch Geld zu verdienen. Seine Beispiele in Spotify und Netflix waren da wesentlich interessanter. Bei mir blieb die Idee religiöser Angebote als Playlist hängen.

Die Folgesession „Kurz, bunt, jung. Die Talents von morgen“ war da ein Rohrkrepierer. Agenturchef Christoph Krachten präsentierte Marietheres Viehler, Tomasz Niemiec und Nic Dncr, drei 18- bis 20-Jährige, die entweder in Nischen tätig oder von Plattformen ausgebeutet das Ende des InfluencerHypes anzeigten. Auch wenn schneller Erfolg nach wie vor möglich ist, stellt sich mir doch die Frage, wie sich in dieser Kurzatmigkeit des Business noch ein Berufsleben mit halbwegs gelingender Lebensplanung möglich sein soll. Wenn die Zukunft bei der Jugend liegen soll, macht es jedenfalls keinen Sinn, wenn meine Generation in den Führungsetagen im ständigen hire and fire junge Talente im Durchlauferhitzer verheizt. Das Verhalten von musical.ly gegenüber dem  Tänzer Nic Dncr erinnerte jedenfalls an frühindustrielle Zustände.

Die Session „Modernes Metzger Marketing mit Social Media“ war leider wegen Überfüllung nichts für mich. Auch hier hoffe ich noch auf nachträgliche Berichte.

Spannend auch für die Social-Media-Arbeit der ELKB war „Dürfen die das? Was macht die Regierung auf Facebook und Co.?“ Johannes Dimroth, Abteilungsleiter im Bundespresseamt erläuterte und verteidigte die SocialMediaArbeit der Bundesregierung. Nicola Balkenhol von Deutschlandradio musste da leicht frustriert feststellen, dass den Medien weniger erlaubt sei als der Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen. Wie konsequent die Regierung ihre Möglichkeiten aber nutzte war sehr aufschlussreich. Da muss Kirche noch viel mehr Ressourcen aufwenden, um ähnliche Effekte zu erreichen … oder eben nicht mehr wahrgenommen werden.

Auf die Suche nach den oft vermuteten SocialBots machte sich Luca Hammer in „Bist du ein Bot? Wie Automatisierung unsere Kommunikation verändert“. Sein Fazit: wirkliche Bots, also autonom im Netz agierende Programme hat er so gut wie nicht gefunden. Aber jede Menge Accounts, hinter denen sich Menschen verbergen, um durch schiere Masse das Netz zu beeinflussen. Und oft auch die Frage, bei sehr schnellen Netzreaktionen „Bist du ein Bot?“ … erstaunlich, welche Energie manche User ins sehr schnelle Reagieren und Agieren setzen. Auch das automatisierte Posten und Vorplanen von Aktionen stellte Hammer in die Nähe der Bots. Denn streng genommen ist ja auch das nicht authentisch und echt.

„Wie Wissen im Netz funktionieren kann: “Terra X ” bei YouTube“ gab dem Team um Harald Lesch Gelegenheit, ihre Erfolgsgeschichte zu erzählen. Ein wunderbares Beispiel, wie Wissen und Feuereifer eine Gesellschaft weiter bringen. Lesch outete sich als YouTubeStar aus Zufall. Denn den Erfolg hatte er nicht erwartet, als er das Angebot des ZDF annahm, auch in den Sozialen Medien Wissen zu vermitteln. Man möchte  sich mehr Leschs wünschen, die aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft Wissensschätze in handhabbaren Portionen öffentlich machen. Auch hier meines Erachtens ein Betätigungsfeld für Kirche.

Einen Blick in die Welt der DatingPortale ermöglichte Tabea Glindemann in „Oh no, Cupid: Wieso dein Tinderwunsch bisher nicht in Erfüllung gegangen ist“. Dass viele Männer es nicht schaffen, die Liebe ihres Lebens zu finden, ist mir seither etwas verständlicher. Wenn nur noch die Masse der Kontakte zählt und expliziter SexTalk die Kommunikation beherrscht ist es nur verständlich, wenn Frauen diese Männer nicht beachten. So toll ist ein Penis nu auch wieder nicht.

Mein Abschluss der re:publica gaben die Juristen Thorsten Feldmann und Henning Krieg mit ihrem Saisonrückblick 2017/18 Social-Media-Recht. Leider blieben die beiden bei ihrem zehnten Auftritt auf der Konferenz eine gute Stunde im Klein-Klein des Bildrechts hängen und ich versäumte den für mich wesentlich wichtigeren Teil zum neuen Datenschutzrecht. Wenn das Video des Panels verfügbar ist, liefere ich das aber nach.

Weitere Blogbeiträge findet ihr hier:

Sabine Depew “Wie die #rp18 mein Leitbild erneuert.”